"Augen zu und durch" reicht nicht

Denkt der ehemalige Bundespräsident Christian Wulff heute an die Kredit- und Medienaffäre zurück, die ihn 2012 zu Fall gebracht hat, erinnert er sich laut seiner Biografie “an schlaflose Nächte, an Momente großer Verzweiflung, an meine Ohnmacht”. Das abrupte Ende der politischen Karriere Wulffs ist eines von vier Beispielen der vergangenen Jahre, die der “SZ”-Redakteur für Innenpolitik Kim Björn Becker in seinem Buch “Politisches Skandalmanagement” genau analysiert. Ebenfalls untersucht werden – leider wenig überraschend – die Fälle Karl-Theodor zu Guttenberg (Plagiat), Ulla Schmidt (Dienstwagen) sowie Thomas de Maizière (Drohnen). Becker zufolge mangelt es bislang in der Forschung an einer systematischen Auswertung aktueller Kommunikationsstrategien in Affären und Skandalen in der Politik. Diese Lücke möchte er mit dem in der Schriftenreihe Politik erschienenen Band schließen.

Dafür zählt Becker, wie oft sich die Protagonisten geäußert haben, erstellt vergleichende Tabellen zu den verwendeten Strategien und untersucht, inwiefern sich die Krisenkommunikation in Skandalen zunehmend professionalisiert. Viele Ergebnisse sind auch für den Laien in der Skandalwissenschaft wenig überraschend. In erster Linie sind beispielsweise die Reaktionen der Politiker konfrontativ, bestehen in Dementi und Umdeutungen. Laut Auswertung sind die Pressesprecher der verwickelten Politiker ganz klar die wichtigsten Unterstützer, gefolgt von den jeweiligen Staatssekretären. Ebensowenig überraschend ist die Erkenntnis, dass eine verstärkte Medienpräsenz des Protagonisten allein die Deutungshoheit im Skandal nicht verbessert, sondern dass vor allem die argumentative Überzeugungskraft zählt.

In allen Beispielen steht im Skandalmanagement in erster Linie der Kontrollverlust im Vordergrund. Dieser sei, so wird oft unterstellt, ein Charakteristikum des Skandals im Digitalzeitalter. Becker legt plausibel dar, warum diese Vermutung nicht zutreffend ist, indem er heutige Skandale mit solchen der griechischen Antike vergleicht. Skandale sind seit jeher Geschichten über Macht und Ohnmacht und ihr Ausgang ist immer eine Weile ungewiss. Auch wenn der Shitstorm in sozialen Netzwerken eventuell heute größere Kreise zieht: Das Aufbauschen von Skandalen ist mitnichten ein Phänomen der zeitgenössischen Mediendemokratie, ihre Nicht-Steuerbarkeit gehört laut Becker zu den “grundlegenden Gesetzmäßigkeiten, die über die Grenzen von Staaten, Kulturen und selbst Epochen hinweg bestehen bleiben.” Die Öffentlichkeit agierte seit jeher in solchen Situationen “in der Rolle des Volksgerichts”.

Ein Skandal ist keine Naturkastastrophe

Betroffene wählen im Zusammenhang mit den öffentlichen Reaktionen auf Affären oft Metaphern des Kontrollverlusts wie “Welle” oder “Tsunami”. Das Bild der über den Skandalisierten hereinbrechenden Naturkatastrophe suggeriert das Ausmaß der empfundenen Ohnmacht. Zwar glaubt auch Becker nicht an strategisch vollständig determinierbare Prozesse im Skandalmanagement, dennoch gibt es ihm zufolge in der Weise Gestaltungsspielraum, dass zumindest grobe Schnitzer verhindert werden können. Trotz der Medien als wirkungsmächtigen, und in Bezug auf den Skandalisierten oft wenig zimperlichen Akteur, und der politischen Diskursmacht, ist der Skandalisierte nicht vzur Passivität gezwungen oder gar “ausgeliefert”.

Aber wann ist das Skandalmanagement überhaupt erfolgreich? Becker rät davon ab, die Frage, ob die Person von ihrem Amt zurücktreten musste oder nicht, als primären Indikator für Erfolg zu betrachten. Stattdessen sollte “die Skandalforschung ihren Fokus stärker als bisher auf den langfristigen Reputationsverlust des Skandalisierten richten. […] Erfolgreiches Skandalmanagement in der Politik zeichnet sich dadurch aus, dass es dem Angegriffenen gelingt, die möglicherweise dauerhafte Beschädigung seines öffentlichen Images nicht durch eigenes Zutun zusätzlich zu vergrößern.” Als Positivbeispiel nennt Becker in diesem Zusammenhang den Fall der ehemaligen EKD-Ratsvorsitzenden Margot Käßmann, der es gelang, durch ihren Rücktritt und ihre Kommunikation nach einer Alkoholfahrt die Krise erhobenen Hauptes und mit guten Perspektiven zu überstehen.

Menschen, die in der Öffentlichkeit stehen, bieten stets auch eine Angriffsfläche. Den, wie er schreibt, “naiven” Rat, sich nichts zuschulden kommen zu lassen, würde Becker keinem geben. Um sich zumindest ein wenig zu wappnen, gilt es im Fall der Fälle Schadensbegrenzung anzustreben. So rät Becker zu präzisen Aussagen und zu einer besonderen Aufmerksamkeit zu Beginn der Krise. Besonders in den ersten Stunden und Tagen einer Affäre gelte es, nichts zu sagen, was später die Konstruktion einer Diskrepanz ermöglichen oder erleichtern könnte. Und das eben trotz des massiven Zeitdrucks. Aber was tun, wenn Medien lange Fragenkataloge mit strengen Fristen versehen? Nicht zuletzt an diesem Druck, der Presse schnell etwas liefern zu müssen, sind schließlich Wulff und Co. gescheitert. Ausgerechnet in solchen Situationen empfiehlt Becker einen Leitsatz aus dem Journalismus: “Get it first but geht it right”. Der Skandalisierte soll also so schnell wie möglich reagieren – aber dennoch erst dann, wenn er gewährleisten kann, etwas zu sagen, das ihn später nicht in Diskrepanzen verstrickt.

Fazit

Dem Band ist in Struktur und Sprache deutlich anzumerken, dass es sich um eine Dissertation handelt. Manche Passagen sind recht trocken geschrieben, dass der Autor selbst Journalist ist, ist kaum spürbar. Lesern, die sich nicht wissenschaftlich mit dem Thema auseinandersetzen, wird der Analyseteil wahrscheinlich zu detailliert sein. Für politische Kommunikatoren ist “Politisches Skandalmanagement” dennoch empfehlenswert, da es über die Analysen hinaus auch praktische Handlungsempfehlungen bereithält.

Kim Björn Becker: Politisches Skandalmanagement. Strategien der Selbstverteidigung in politschen Affären der Bundesrepublik Deutschland. Verlag Barbara Budrich 2016. 48 Euro.