Lernt Labour von der SPD?

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Es hätte der Tag des Labour-Vorsitzenden Jeremy Corbyn sein können. Es hätte der dringend benötigte Befreiungsschlag werden können. Doch die Freude von Jeremy Corbyn währte kurz. Gerade erst hatte seine Partei in einer Unterhausnachwahl in Stoke-on-Trent das Mandat verteidigen und in dem europaskeptischsten Wahlkreis auf der Insel den Vormarsch der United Kingdom Independence Party (UKIP) erfolgreich abwehren können.

Keine 30 Minuten später setzte es dann einen Schlag in die Magengrube. Bei der zweiten Nachwahl des Tages verlor Labour das Mandat. Ausgerechnet in Copeland, einem Wahlkreis in Labours Herzkammer, der seit 1935 unentwegt einen Vertreter der Arbeiterpartei in das Unterhaus gesendet hatte. Als Siegerin ging Trudy Harrison von den Konservativen hervor, also die Kandidatin der Regierungspartei. In den vergangenen 35 Jahren hatte es das nicht gegeben, dass die regierende Partei der Opposition bei einer Unterhausnachwahl ein Mandat abluchst. Alarmstufe Rot im Labour-Parteivorstand.  

Seit Corbyns Wahl zum Parteivorsitzenden im September 2015 kommt seine Partei nicht zur Ruhe. Bereits eine Minute nach seiner Antrittsrede trat damals der Abgeordnete Jamie Reed von seinem Posten als Gesundheitsminister im Labour-Schattenkabinett zurück. Noch am selben Tag folgte ihm Tristram Hunt als Schatten-Bildungsminister. Ein Jahr später, im Dezember 2016, entschlossen sich die beiden, das Unterhaus zu verlassen. Mit ihrem Austritt aus dem Parlament machten sie die zwei Nachwahlen am vergangenen Donnerstag erst notwendig.

Talente gehen von Bord

Tristram Hunt ist heute Direktor des Viktoria & Albert Museums, Jamie Reed Lobbyist des Kernkraftwerks Sellafield. Beide sahen in der von Corbyn geführten Partei keine Zukunft.

Labour liegt in aktuellen Umfragen ohne Machtperspektive mehr als 15 Prozentpunkte hinter den regierenden Konservativen und der EU-feindlichen United Kingdom Independence Party abgeschlagen auf Platz drei.

Mit Reed und Hunt verlor die Labour Party zwei der größten Nachwuchstalente in ihren Reihen. Beide Anfang 40, beide vom moderaten Flügel der Partei. Weitere profilierte Labour-Abgeordnete wurden in den vergangenen anderthalb Jahren von Corbyn aus dem Schattenkabinett aussortiert, oder nahmen freiwillig ihren Hut. Zuletzt zogen sich im Februar vier Abgeordnete zurück, nachdem Corbyn die Fraktion dazu verdonnert hatte, für den Gesetzentwurf von Premierministerin May zu stimmen, mit dem die Austrittsverhandlungen aus der EU in Gang gesetzt werden.

Der Aufschrei der Pro-Europäer in der Labour Party war groß. Zu allem Überfluss heizte der ehemalige britische Premierminister Tony Blair eine Woche vor den Nachwahlen die Stimmung in seiner Partei an. Die sei schuld daran, dass die Briten sich überhaupt für den Brexit entschieden hätten, schrieb er dem europaskeptischen Corbyn ins Buch. Die Gegenreaktionen kamen postwendend. Blairs Einlassungen waren im besten Fall nicht hilfreich, so Corbyn-treue Abgeordnete, die ihrem Parteichef beisprangen. Derlei öffentlich ausgetragene Dissonanzen werden vom Wähler nicht goutiert.

Wahlrechtsreform geplant

Labour unter Corbyn ergeht es wie der SPD unter Sigmar Gabriel: Die Partei dümpelt im Umfragetief. Bisher erkennt Corbyn nicht, dass mit ihm kein Staat zu machen ist, doch sein Umfeld wird zunehmend nervös und bereitet hinter den Kulissen eine Ausstiegsstrategie vor. Vor zwei Wochen ließ die Parteizentrale Zustimmungswerte mehrerer linker Abgeordnete testen, um sich für die Ära nach Corbyn zu wappnen. Dumm nur, dass die Ergebnisse an die “Times” weitergereicht wurden und so das ganze Land von der Aktion Wind bekam. Im Beliebtheitswettbewerb lag Rebecca Long-Bailey, im Schattenkabinett zuständig für Wirtschaft, vor Angela Rayner, der Schatten-Erziehungsministerin.

Bevor eine der beiden jedoch realistische Chancen auf die Nachfolge von Corbyn hat, muss zunächst eine Wahlrechtsreform erfolgen. Während Kandidaten für den Parteivorsitz bisher die Unterstützung von 15 Prozent der Unterhaus- und Europa-Abgeordneten benötigen, sollen nach Vorstellung des Parteivorsitzenden zukünftig fünf Prozent reichen (statt 37 wären es dann 12). So sollen es die Kandidaten der parlamentarischen Linken zukünftig immer auf den Wahlzettel schaffen. In der Vergangenheit nahmen sie in der von Moderaten und Konservativen geprägten Unterhausfraktion oft diese erste Hürde nicht. Somit konnte die überwiegend linke Parteibasis nur zwischen Kandidaten der Mitte wählen.

Corbyns Apparatschiks planen, die Wahlrechtsreform auf dem Parteitag im September durchzusetzen. Es ist daher unwahrscheinlich, dass Corbyn trotz anhaltenden Abwärtstrends vorher seinen Hut nehmen wird. Genauso unwahrscheinlich ist es, dass Labour bis dahin zur Ruhe kommt und effektive Oppositionsarbeit leistet. Im Mai droht somit beim nächsten Lackmustest, den landesweiten Kommunalwahlen, das nächste Debakel an der Urne.