Wie man mit Schmeichlern umgeht

Politik

Die Kernfrage: Welche Selbstwahrnehmung ist realistisch, welche macht uns handlungsstark? Menschen suchen nach Konsonanz, dem Gleichklang von Kognitionen, Motiven und Handeln, auch von Selbst- und Fremdbildern, und genießen die Bestätigung günstiger Selbstwahrnehmungen. Schmeichelei ist also ein Tauschangebot: die gezielte Verstärkung günstiger Selbstwahrnehmungen einer Person, um Vorteile von ihr zu erlangen, vor allem Unterstützung oder Zustimmung. Schmeichelei befällt somit nicht nur Politik, sondern jede Form von Führung, in allen Organisationen – Kirchen, Behörden, Redaktionen und Unternehmen genauso wie Schulen und Krankenhäuser.

Überall suchen Führungskräfte nach Unterstützung und Bestätigung; denn Bündnisse zu bilden, um Veränderung zu gestalten und Ziele durchzusetzen, ist ihre Kernaufgabe. Bestätigung und Unterstützung ermutigt uns auch zu hoher Selbstwirksamkeitserwartung, einer Kerneigenschaft erfolgreicher Führungskräfte: Sie trauen sich den Wandel zu. Schmeichelei scheint uns also zu stärken, sie verheißt Konsonanz, soziale Unterstützung und Erfolgszuversicht. Das macht uns anfällig. Der erste Schritt zur Freiheit heißt somit: Mach dich vom Meinungsflimmern innerlich unabhängig. Der zweite: Tu das Richtige, handle gerecht und gut, und das Urteil der Welt sei dir egal.

Die verschiedenen Motive und Formen von Schmeichelei sind schwer zu unterscheiden: Die plumpe Schmeichelei erscheint eher als harmlos, da leicht erkennbar. Toxisch sind vielmehr die langfristigen, unauffälligen Konsonanzen: Ein Schmeichler kann durchaus die Wahrheit sagen – nur kaum je die ganze. Er mag gar aus ehrlicher Zuneigung handeln. Eine autoritär akzentuierte Persönlichkeit bewundert Sieger, aber eben nur, bis der nächste Sieger kommt, sie ist im Grunde illoyal gegenüber Person oder Sache.

Der dritte Schritt zur Freiheit heißt also: die alte philosophische Tugend des Zweifels pflegen! Wir sollten dafür erstens alles Gute, was wir über uns hören, kräftig diskontieren und nur die Hälfte glauben. Wir sollten zweitens auf Zwischentöne der Mehrdeutigkeit achten. “Sie waren analytisch stark” heißt nicht: “Sie waren sympathisch”. Wir entwickeln drittens durch geeignete Formen – Intervision mit vertrauenswürdigen Kollegen, Supervision, langjährige Erfahrung – unsere Fähigkeit zur professionellen Selbstreflexion, unseren inneren Kompass. Unser Ziel sollte nicht Erfolg um jeden Preis, sondern ein wahres Leben sein, also unser Bestes zur Menschlichkeit beizutragen. Echtes Verantwortungsbewusstsein macht uns unabhängig von Schmeichelei.

Die hohe Kunst vorgetragener Verehrung: Minnesänger im Codex Manesse, der umfangreichsten deutschen Liedersammlung des Mittelalters.

Foto: Codex Manesse/ Graf Kraft III. von Toggenburg als Minnesänger in der Manessischen Liederhandschrift
 

Gleichgesinnte bieten seltener Paroli

Am schwierigsten zu erkennen ist schließlich die beiläufige, kontextuelle Konsonanz, und die infiltriert auch ganze Gruppen oder Gremien: Führungskräfte bewegen sich, gerade wenn sie erfolgreich ihre Visionen verankern, unter Menschen mit ähnlichen Ansichten, zum Beispiel Parteimitgliedern, Managerkollegen oder Wissenschaftlern ähnlicher Methodik und Theo­rie. Vom Gesamtbild abweichende Interpretationen dringen nicht mehr in die Kommunikation ein, man schmeichelt sich unvermerkt gegenseitig, um ein Gefühl von Rückendeckung, Unterstützung und Sicherheit zu gewinnen, gerade in Stresssituationen. Dies ist eine mögliche Erklärung für das mitunter dürftige politische Gespür im “Raumschiff Berlin” oder in Parteizentralen. Doch auch gegen kontextuelle Konsonanz, gegen kollektive Selbstschmeichelei, stehen Sozial- und Selbsttechniken zur Verfügung – weitere Schritte der Befreiung:

1. Plumpe Schmeicheleien kann man mit Ironie, Freundlichkeit und etwas Selbstkritik entmutigen, das schafft eher Respekt als Enttäuschung.

2. Unabhängige Informationsquellen korrigieren konsonant beschönigte Selbst- und Weltbilder. Deshalb sind demoskopische Sonntagsfragen (in all ihrer methodischen Armseligkeit) so wichtig. Aussagekräftig sind sie in der Regel aber nur im Zeitreihenvergleich, als Pegel für Veränderungen. Gänzlich ungeeignet für diesen Zweck ist hingegen die Aufmerksamkeit der Medien, wie zuletzt deren hilflose Zuckungen im Umgang mit der neuen rechtsextremen Bewegung zeigten – von hilflosem Schweigen über ängstliche Verwirrung auf den Vorwurf der “Lügenpresse” bis hin zur Beflissenheit, mit der eine unappetitliche Minderheit nach drei Landtagswahlen jede politische Talkshow heimsuchen durfte.

3. In kontinuierlich arbeitenden Gremien sind Menschen wichtig, die die Dinge gegen den Strich bürsten und kritische Sichtweisen vertreten. Sie sollten auf keinen Fall “eingenordet” werden, sondern Gruppen als Korrektiv dienen. Eine bewährte sozialpsychologische Arbeitstechnik besteht darin, diese Rolle bedarfsweise reihum als Arbeitsauftrag zu vergeben (“Advocatus Diaboli”), also die positive Selbstsicht und die Mehrheitsmeinung systematisch zu hinterfragen.

4. Langfristig sollten Organisationen ihre Rekrutierung überdenken. Ethische Gesichtspunkte spielen in der Personalauswahl meist keine Rolle, Leistungsfähigkeit und -wille scheinen wichtiger. Wer integre Menschen um sich sehen will, sollte sie suchen. Aufschlussreiche Merkmale sind zum Beispiel zivilgesellschaftliches Engagement und Ehrenämter in Vereinen, Parteien oder Verbänden, Neugier auf menschliche Lebenslagen, etwa Freiwilligendienstzeiten, Umweltaktivitäten oder ­soziales Engagement im Ausland, und schließlich schlicht die menschliche und moralische Reife, die sich im Gespräch am Reflexionsvermögen über berufs­bezogene ethische Dilemmata offenbart.

Die vernünftigen, verantwortungsvollen Menschen müssen zusammenhalten. Unsere Zivilisation hängt an ihrem ­Augenmaß.

Dieser Beitrag erschien zuerst in der gedruckten Ausgabe politik&kommunikation II/2016 Leadership. Das Heft können Sie hier bestellen.